13 geschichten

13/eins

13/1_(Mittwoch)

Ein Mädchen mit einem Dreirad fuhr mittags spazieren. Das tat sie jeden Tag, denn während ihre Eltern ihren Mittagsschlaf abhielten, musste das Mädchen raus. Es war Mittwoch und sie fuhr weiter als sonst. Plötzlich hielt sie an. Vor ihr war eine offene Türe. Das war das erste, was sie sah. Dann wanderte ihr Blick weiter. Ein Dach! Es kann nicht reinregnen, dache sie. Aber Fenster konnte sie keine sehen. Na gut, dann kann ich nicht rausgucken, aber reingucken kann auch niemand. Sie stellt ihr Dreirad ab und lief auf die Türe zu. Dunkel war es drinnen. Aber dunkel war es auch irgendwie um sie herum. Also ging sie hinein. Ihre Augen konnten wenig sehen, aber ihr Herz umso mehr. Oh, da in der Ecke steht ein Puppenhaus. Und daneben ein schönes weiches Bett. Und an der Wand ein Regal mit wunderbaren Bilderbüchern. Sie lief zu dem Puppenhaus und sah hinein. Da saßen zwei Eltern und ein kleines Mädchen an einem Tisch. Dann setzte sie sich auf das Bett. Ach war das himmlisch weich. Nur ein wenig hinlegen, dachte sie. Und tat es. Etwas rüttelte sie unsanft an der Schulter. Erschrocken riss sie die Augen auf und starrte in das Gesicht ihrer Mutter. Dann sah sie sich um. Sie lag auf dem Boden, um sie herum nur Schutt und Dreck. Aber für ein paar kurze Momente, war alles, wie es eigentlich sein sollte. Die Hand der Mutter ergriff ihre und zog sie mit sich. Sie würde wiederkommen, das wusste sie. Schon morgen, wenn die Eltern ihren Mittagsschlaf halten würden.

von Pandorra Birdie Saralonde


13/1_(Kielka)

Der Fahrer wandte sich zu ihr und sagte, »Wir sind da!«

Zögernd stand sie auf, griff ihren Rucksack und ging zu ihm nach vorne.

Etwas ungläubig blickte sie hinaus, auf die staubige Straße.

»Hier?«, fragte sie.

»Das ist Kielka. Du wolltest doch nach Kielka. Was ist jetzt? Ja oder Nein?«
Lia nickte und der Fahrer öffnete die Tür.

Vorsichtig stieg sie die Stufen hinab und nachdem sie den zweiten Fuß auf den staubigen Boden gesetzt hatte, blickte sie noch einmal zurück.

Der Fahrer nickte ihr zu, drückte den Knopf und die Tür schloss sich.

Mit einem Pfeifen setzte sich der Bus in Bewegung.

Lia stand wie angewurzelt da und blickte ihm hinterher. Schon lange konnte sie ihn nicht mehr sehen.

Der Staub, den er aufgewirbelt hatte, lichtete sich langsam und gab den Blick auf ein Gebäude frei.

Der Rucksack glitt ihr langsam aus der Hand. Verzweifelt suchte sie nach etwas Greifbarem, etwas, was ihr sagen würde, alles ist gut. Aber nichts war gut.

Dieses Haus vor ihr war schon lange verlassen. Die Fenster zur Straße zugemauert, bröckelte überall der Putz. Die Ziegel hatten sich zum Teil schon gelöst und eine Eingangstür existierte nicht mehr. Hier war niemand mehr.

von Veronika Bärenfänger


13/1_(Mutig)

Sie hatte schon ansehnlichere Toiletten aufgesucht.
Aber was wollte sie machen. „Was muss, das muss.“, dachte sie sich und Schritt mutig über die zertretene Schwelle.

von Moi


13/zwei

13/2_(zweiundzwanzig)

„Lass mich in Ruhe“, sagte er. „Ich brauche Zeit.“

Wortlos wandte sie sich ab und ließ ihn in dieser verlassenen Gegend alleine mit seinen Spraydosen stehen. Das war nicht böse gemeint, nein. Sie ging nicht weg, weil sie nicht mit seinen Handlungen einverstanden war. Sie ging weg, um sich selbst zu schützen.

Als sie weit genug entfernt war, drehte sie sich noch einmal um. Da stand er, breitbeinig, mit geneigtem Kopf und betrachtete die Wand. In der rechten Hand hielt er eine Spraydose, die immer wieder hoch zuckte und sich dann wieder senkte.

Er hatte eine Aufgabe, das wusste er. Worin die allerdings bestand, dass wusste er wiederum nicht. Aufgeregt lief er hin und her, sah sich um, ging hinaus, starrte den Himmel an und fragte sich immer wieder, was er eigentlich hier wollte.

Dann dachte er an sie. War er zu barsch gewesen? Würde sie wiederkommen? Alles Fragen, die so sinnlos waren wie sein Hiersein.

Dann plötzlich durchzuckte ihn eine allumfassende Wahrheit. Er hob die Hand mit der Spraydose und ein roter Strahl traf die Wand. Er vollführte kunstvolle Drehungen und dann stand da in klarer Schrift, die Zahl Zweiundzwanzig. Er betrachtete sein Werk und nickte zufrieden mit dem Kopf. Ja, das war es, darum war er hier. Der Sinn des Lebens. Da hatte sich mal einer mächtig verrechnet. Zweiundvierzig, da konnte er doch nur lachen. Zweiundzwanzig, das war die Zahl, das war genau die Zahl, die das Leben ausmachte. Und mit diesem Gedanken ging er zufrieden nach Hause.

von Pandorra Birdie Saralonde


13/2_(Immer wieder)

Kennen wir uns?
Ich glaube nicht.
Ich bin Unjo, der erste meiner Art.
Was ich bin?
Oh mein Lieber, das kann ich dir nicht beantworten. Das kann vielleicht die Göttin des Lichts, die Sehnsucht meines Lebens, meine große Liebe. Sie kann das, ganz bestimmt kann sie das.
Aber sie ist nicht hier. Du bist hier.
Du hast einen interessanten Ort gewählt.
Abgeschieden, verlassen, ein Relikt einer vergangenen Zeit.
Es riecht nach Metall und Schmutz.
Riechst du es auch? Die Feuchtigkeit, der Moder, diese Mischung ist inspirierend.
Wusstest du, dass Vergänglichkeit so riecht?
Nein?
Interessant.
Du hast mich angefasst. Das war jetzt keine so gute Idee. Ja, ich weiß, dass du es gesehen hast.
Keine Sorge, ich habe es auch gesehen. Ich habe gesehen, was du getan hast und das war nicht nett. Ich sagte ja, du hättest mich nicht anfassen dürfen.
Oh, ist dir etwa schwindelig?
Warte, ich helfe dir. Dort ist eine Decke, dort kannst du dich ein wenig ausruhen.
Ach herrje, jetzt hast du dich aber schmutzig gemacht. Warte, das haben wir gleich.
Du riechst so gut nach Metall und Dreck. Du schmeckst auch gut.
Warum bist du jetzt plötzlich so still? Habe ich dir etwa weh getan?
Oh, ich Dummerchen, das passiert mir leider immer wieder …

von Veronika Bärenfänger


13/2_(Monochrom)

Sie hatte Höhenangst und er fürchtete sich vor Hunden. Sie schlossen einen Deal: Er würde einen Hund streicheln und sie auf das Dach seines Hochhauses steigen. Doch vorher erkundeten sie noch ein paar Brachen zusammen. Sie kletterten über Zäune, schlüpften durch löchrige Türen und bewegten sich so monochrom zum Puls der Stadt, dass niemand sie bemerkte. Der Staub auf ihrer Jeans berichtete von der Heimlichkeit. Mehr Zeugnisse gab es nicht. Mit einer Hand voll gesammelter Schätze kletterten sie warm und fröhlich die Treppen hinauf. Er klappte die Leiter herunter, ging voran und reichte ihr die Hand. Mutig griff sie zu, atmete tief durch und war überwältigt vom Blick über die Dächer. Ein paar Bierkisten dienten als Stühle, ein paar Topfpflanzen verzierten das Grau des Daches. Sie teilten sich ein Radler, genossen den kühlenden Wind und lachten. Noch heute vermisst sie ihn sehr.

von Moi aussi


13/drei

13/3_(Zuhause)

Nun ja, wenn man es ganz genau nahm, hasste er die Natur. Sie war einfach zu unbequem. Mal zu kalt, mal zu warm, mal zu nass, mal zu trocken. Doch da sich um seine Hüften so einiges an Ballast angesammelt hatte, was seiner Eitelkeit nicht gerade schmeichelte, fühlte er sich bemüßigt, seine Nase auch mal Gassi zu führen. Als er eines Morgens so vor sich hin trabte, erhaschte er einen Blick auf etwas Rotes, das sich schnell von ihm fortbewegte. Er beschleunigte seine Schritte, denn er war neugierig und erhoffte sich ein wenig Abwechslung bei dem langweiligen Trott. Immer wieder entschwand das Rot und tauchte dann aber wieder auf. Immer schneller wurde er und die Hoffnung auf etwas wirklich Besonderes stieg. Doch seine Kondition machte schneller schlapp als seine Fantasie, und er ließ sich unter einem Baum sinken. Da saß er nun und grübelte. Eine Frau tauchte vor seinen Augen auf, in einem roten Kleid und verschwand dann im Nebel der Vergessenheit. Er war doch wirklich verrückt. Langsam normalisierte sich sein Atem und er sah sich um. Wie zum Teufel war er hier in den Wald geraten. Da war ja nicht einmal ein Weg. Und wo war er überhaupt. Er hatte keine Ahnung. Darum holte er sein Handy aus der Hosentasche. Aber, wie nicht anders zu erwarten, kein Empfang. Da fiel ihm wieder ein, wie sehr er die Natur hasste. Und ab jetzt den Wald ganz besonders. Während er noch in seinem eigenen Kosmos kreiste, spürte er plötzlich etwas an seinen Füßen. Er sah auf. Da stand ein riesiger Hund mit einem roten Cape und starrte ihn neugierig an.

„Wuff“, machte der Hund und es klang so wie „Hallo, was machst du da.“

„Ich hab‘ mich verlaufen, weil ich Trottel dir hinterhergerannt bin“, sagte er und für den Hund klang es wie „Wuff“.

„Wuff, Wuff“, sagte der Hund und er verstand: „Soll ich dich heimbringen?“

„Wuff“, antwortete er und stand auf. Der Hund im roten Cape lief vor ihm her und er lief hinterher. Keine halbe Stunde später standen sie vor seiner Haustüre.

Er schloss auf und lies dem Hund den Vortritt. Da blieb nur noch eines zu sagen:

„Wuff“

von Pandorra Birdie Saralonde


13/3_(Sackgasse)

Es dämmerte bereits, als das Kind eine Schlucht erreichte.

Das Mädchen blickte sich um.

„Eine Sackgasse, steile Hänge links und rechts und vor mir“, dachte sie und wollte schon umkehren, als ihr Blick auf einen großen umgefallenen Baum traf.

Die Wurzeln hatten einen Felsspalt freigegeben.

Vorsichtig untersuchte sie den Spalt und schlüpfte hinein, er war gerade groß genug für ein Kind, ein wenig ungemütlich, aber trocken.

Die Wurzeln des Baumes verdeckten den Zugang, sodass niemand wirklich hineinsehen konnte.

Zitternd vor Kälte und mit klappernden Zähnen rollte sich das Mädchen zusammen, zog ihre klamme Jacke noch enger um sich und schlief bald, vor Erschöpfung, ein.

von Veronika Bärenfänger


13/3_(Müde)

Baum müde. Baum Daidai.

von Moi


13/vier

13/4_(Sein im Hier)

Nein, das geht wirklich nicht. Nein, auch wenn… ja… wenn was? Da lebt man täglich vor sich hin, fragt sich denkbar selten nach dem Sinn. Sitzt auf Stufen, lehnt an Wänden und Gedanken kreisen. Um was? Um den Sinn des eigenen Lebens. Dieses Sein im Hier, im Gestern, im Jetzt! Ein Sein, das aus Träumen, aus Wollen, aus Können, aus Wut, aus Freude, aus Trauer, aus Langeweile, aus … ja einfach aus allem besteht. Wechselnd wie Ebbe und Flut.

Und genau so lässt man sich treiben. Jetzt hier, jetzt weg.

von Pandorra Birdie Saralonde


13/4_(off)

A little bit off

von Veronika Bärenfänger


13/4_(Er)

Er wusste einfach nicht, wie er seine Rückenschmerzen lindern konnte. Sitzen, stehen, anders sitzen… es half nichts…

von Moi


© 2020 albert sadebeck

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