Erzähl‘ mal einen vom Pferd!

12 Minuten. 12 Minuten hat es gedauert, das Pferd zu putzen und vorzubereiten. Der Sattel ist an der richtigen Stelle, die Riemen am Kopf und das Gebiss so lose es geht, so fest wie aber benötigt im Maul.

Ich atme tief durch und steige auf. 500 Kilo, die auf Kommando warten. Auf MEIN Kommando.

Also ich würde ja nicht auf dich hören.

Ach was… das ja was völlig neues…

Guck dich doch mal an. Dasde talentfrei bist und das nicht kannst, hat dir Rosi doch gezeigt. Ich kann mich noch sehr gut an die Schmerzen

Halt die Klappe. Ich nehme Unterricht. Ich arbeite daran. Ich kann das.

Sagste das jetzt mir oder dir?

Keine Ahnung.

ATME

„Setz dich aufrecht, hol Luft und hab Vertrauen. Sie ist sehr aufmerksam, aber auch unsicher. Sie braucht Sicherheit.“

Redet die jetzt von dir oder dem Gaul?

NENN DIESES TIER NOCH EINMAL GAUL UND DU FLIEGST RAUS, HIRN!

„Erstmal locker und ordentlich Schritt reiten.“

Alle Muskeln in meinem Körper spannen sich. Da vorne kommt die Ecke, in der das Licht so dämlich durch das Dach fällt, dass es Schatten und Lichtpunkte wirft. Beim letzten Mal löste das ein ungewolltes Umkehren aus. Sehr viel zackiger als geplant. Sehr viel unerwarteter als angenehm. Der plötzliche Richtungswechsel erschreckte mich und dieses Gefühl schien noch recht präsent in meiner Muskulatur verankert. Zack, Brett. Diesmal würde es mich nicht unerwartet treffen. Im Gegenteil, mein Körper bereitete sich auf Chaos vor.

ATME

„Bleib locker. Reite, als wäre das jede normale andere Ecke. Einfach durch. Leicht, aber bestimmt.“

Einfach. Haha. Als könntest du das mal eben so.

„Schließ deine Beine, gib ihr einen Rahmen. Wenn sie Halt spürt, wird sie dir überall hin folgen. Aber lass sie nicht allein. Du triffst die Entscheidungen.“

Hahahahahahahahahahahaa, die kennt dich noch nicht. Sie weiss nicht, was sie da sagt. DU und Entscheidungen, haaaaahahaha. Das wird super.

Alter, halt die Klappe Hirn! Ich versuche mich zu konzentrieren.

ATME

Ich fasse, mir selbst Mut zumurmelnd, die Zügel kürzer. Der Rest meiner Haltung hat noch nicht so ganz den Elan übernommen und verkriecht sich weiterhin im Sattel. Diese widersprüchlichen Signale bringen meine sensible Stute aus dem Tritt. Sie stolpert.

Alles klar, jetzt gehen wir drauf.

Ich schnappe nach Luft, klammere mich an den Sattel und verdränge sämtliche Flashbacks. Blaue Flecken, gerissene Fingernägel, Blasen an allen möglichen Körperstellen… das tut zwar weh, ist aber kaum gefährlich. Leider sind meine Nerven aber auch auf Vermeidung von gebrochenen Rippen gepolt und das Programm „Abbruch! Rückzug! Schutz!“ übernimmt sofort die Steuerung, um erneute schwere Verletzungen zu verhindern. Der Stolperer, der klar von meiner Unbalance rührte, schüttelte alle unerfreulichen Erinnerungen tief aus dem Unterbewusstsein. Wellen von Unbehagen und ….. Angst durchfahren mich. Ich suche nach einem Fleckchen Erde, auf dem ich halbwegs sicher landen könnte. Unsanft dank fehlender Körperspannung, aber besser als alle anderen Varianten, die Hirn gerade durchspielt.

ATME

„Ganz ruhig. Sie hat sich nur vertreten. Es ist nichts passiert…“

Ja diesmal nicht

„…bleib sitzen, hol ruhig Luft und reite weiter. Einfach erstmal gleichmäßiges Tempo. Nicht langsamer. Halt sie konstant.“

Ich atme angestrengt. Mir wird klar, was los ist. Ich bin unsicher. Ich habe mein Selbstvertrauen verloren. Ich bin das Problem. Die Erwartungshaltung, die ich einnehme, prophezeit:

Du verkackst das. Du kannst das nicht. Deine Lehrerin wird das sehr bald bemerken und dich enttäuscht aufgeben. Du bist hoffnungslos.

Mir wird klar, meine Angst steht mir im Weg. Sie sitzt tief und zittert sich über meine unsicheren Handgelenke über die Zügel direkt ins Gesicht der sensiblen Seele.

Ich schüttle mich etwas. Verflucht. Ich muss mich sammeln. Wie um alles in der Welt bleibt man entspannt und gibt den Weg vor, während man sich gerade eigentlich in die Hose scheisst? Richtig. Man zieht den Mutschlüppi bis unter die Achseln, atmet tief durch und vertraut. Vertraut auf seine Lehrer, auf sein Pferd und auf sein Können. Fehler sind natürlich. Jeder macht Fehler. Sie sind da, um zu zeigen, woran man noch arbeiten muss, was verbessert oder verändert werden muss. Die Angst ist durchaus berechtigt.

Ja man. Du hast ein taubes Bein…

Sie zeigt Gefahrenpotenzial auf und warnt vor eventuell tödlichen Situationen. Ich bedanke mich für ihre Hilfe, teile ihr aber freundlich und bestimmt mit, dass sie gerade voll überreagiert. Ich nehme sie an die Hand und zeige ihr dieses tolle Tier unter meinem Hintern. Dieses Wesen, das seit Beginn der Reitstunde mahnt, Luft zu holen. Und tatsächlich, ich atme unregelmäßig. Die Angst nimmt mir die Luft. Ich konzentriere mich auf meine Atmung und

„Ok, die Stunde ist um.“

Puh. Da liegt ein riesen Haufen Arbeit vor mir. Selbstsicherheit…

Ich steige ab. Klopfe das weiche Fell an der Halsseite und bedanke mich. Im Kampf gegen mich selbst und die Panik die noch in mir steckt, hat sie mir sehr geholfen. Sie ist nicht gar so panisch wie meine eigene Stute, aber unruhig genug, mein Zögern zu spiegeln. Vielleicht schaffe ich es ja doch, irgendwann Rosi den Halt zu geben, den sie braucht. Und mir.

Ist schon ein bisschen witzig, dass ausgerechnet du immer an die unsicheren, ängstlichen Pferde gerätst…

Ja, kann mich kaum halten vor Lachen…


© 2020 hollingtonsmum


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