Oh Mist ey… schon wieder so ein wunderschönes Mohnpflänzchen am Feldrand.
Sie bremste ihren Laufschritt ab, zog das Telefon dermaßen automatisch aus der Tasche, dass weder das Entsperren noch das Öffnen der Kamera App den Bewegungsfluss merklich beeinflussten und stellte die rote Schönheit scharf. Ihr Hund hechelte ungeduldig neben ihr. Er beschloss, die Pause zu nutzen und eben jenen Rand nach möglichen Mäuselöchern zu scannen. …
‚DA. nein. DA. Hm. Vielleicht wenn ich einfach etwas grabe?‘
Die fliegenden Dreckbatzen durchkreuzten ihre Fotoidylle und hinterließen eine braune Wischspur auf dem Motiv. Sie lachte und sah dem Vierbeiner beim Buddeln zu. Ausgelassen tobten seine Pfoten durch die trockene Erde. Ohne Jagderfolg ließ die Euphorie bald nach und sie rannten weiter.
Es war warm. Heiß. Sie schwitzen um die Wette. Um nicht den ganzen Tag mit Müdigkeit zu kämpfen und einen Rest Energie ins Wochenende zu tragen, nahm sie eine Abkürzung, die sie vorher nie gelaufen war. Der Hund folgte dankbar, wollte er doch ob seines schwarzen Fells sowieso die ganze Zeit schon zurück.

Tschiiiiep.
Oh nein.
Tschip.
Nicht schon wieder.
Tschiiiiiiiiiiiiiep tschiep. Tschiep.
Schon letztes Jahr hatte sie ein Vogeljunges gefunden und aufgepäppelt. Sie wusste also, worauf sie sich einließ. Sie kannte die Fütterungsabstände, das Futter, das es brauchte. Hm. Verdammt. Sie selbst aß kein Fleisch. Tiere gehörten uneingeschränkt zu ihrem Leben.
Hunde, adoptiert, aus miesen Umständen, Rasselisten Hunde, die sonst niemand will… Pferde, die sie zu sammeln scheint und mit denen sie wächst und lernt…
Bienen, auf die sie allergisch ist und dennoch für sie sorgt…
Tauben, denen sie einen Brutkasten an die Wand hängt, um ihnen ein Zuhause zu gönnen…
Katzen, die mehr oder weniger zufällig in ihr Leben stolpern und aufgepäppelt werden, und ach, genau, dieses Vogelbaby, das nun eingesammelt und umsorgt wird.
Zu eben jener Sorge zählten die Heimchen und Würmer, die es zu zerteilen galt. Um alle 3 Stunden das bettelnde Tschiiiiiep zu stillen, nahm sie den Umweg über eine Zoohandlung in Kauf, besorgte die Insekten, die das Schnäbelchen stopfen sollten und sagte vorsorglich alle Verabredungen ab. In Ermangelung an Inkubatoren wanderte das Tierchen kurzerhand an den einzig warmen und sicheren Ort, der ihr einfiel. Und der verfügbar war.
In den Sport BH… Den, den sie trug. Zack fertig, Nestersatz.
Mit viel Schlaf konnte die bevorstehende Nacht nicht prahlen. Sie setzte sich aufrecht in einen Haufen Kissen und legte alles, was es zur Fütterung benötigte, bereit. Pinzette, Heimchenhälften (tiefgekühlt, da sie es nicht übers Herz brachte, die Viecherchen lebendig zu zerteilen), Krepppapier, um das Dekolleté sauber zu halten. Und los ging‘s. Entschädigt wurde der Aufwand von einem Blick nach unten zu einem friedlich schlafenden Vogelbaby. Nackt, aber geborgen.
Alles in allem beschreibt das ihren Charakter recht gut. Sie ist eine Person, die man in Notsituationen gerne um sich hat. Eine Freundin, die Probleme pragmatisch löst. Mit einem Herz, das an Größe seinesgleichen sucht.


Ich kenne nur wenige derart durchgeknallte Menschen, die ein Vogelbaby in ihrer Unterwäsche beherbergen, weil die Wildtierstation erst am nächsten Tag öffnet.
In Wahrheit kenne ich nur diese eine Person. Leider gehen die meisten an einem nackten Vogelbaby vorbei, ohne es zu merken. Oder sich darum Gedanken zu machen. Oder erinnern sich an Darwin. Es tut ihnen evtl leid, dass dieses Exemplar es nicht packen wird. Den Aufwand, dies zu ändern, ist es ihnen aber nicht wert. Ich kenne sogar einige Personen, die eher zur Schaufel greifen würden. Würde es mehr Charaktere wie ihren geben, wäre die Bevölkerung um einiges herzlicher, ehrlicher und witziger. Auch wenn sie gern behauptet, Menschen nicht besonders zu mögen, kümmert sie sich doch rührend um ihre Lieben und hat auch mir bisher zur Seite gestanden, als ich noch gar nicht wusste, dass ich das bitter nötig hatte. Ohne grosses Aufsehen darum zu machen. Sie war da. Und ist es noch. Ein bisschen wie Luftpolsterfolie, die den Aufprall mildert. Auch wenn sie dabei Gefahr läuft, selbst was abzubekommen.
Wenn sie nicht der lebende Beweis ist, dass Liebe universell funktioniert… wer dann? Ist es nicht völlig egal, ob man ein Vogeljunges behütet, einen Hundewelpen adoptiert oder ein Menschenkind aufzieht? Die Liebe ist, was uns dabei leitet.
Bei so viel schmalzigem Gelaber muss ich mich gleich übergeben.
Ich bin jedenfalls sehr froh, so coole Menschen zu kennen und sie Freunde nennen zu dürfen. Auf einen baldigen Gin!

© 2020 hollingtonsmum
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