Raureifwurzeln

Weihnachten… der Versuch, ALLE Erwartungen und Emotionen in 3 Tage zu packen und bei Verstand zu bleiben.

Dieses Jahr fühlt es sich an wie eine buschige Nordmanntanne zwischen ’ne Kommode und ein Sideboard in die dunkelste Ecke der Stube gequetscht. Eigentlich zu groß, kein rechter Platz dafür, muss aber halt – also mit Gewalt. Die brechenden Äste unten werden unter den Teppich gekehrt. Wird schon. Weil man das eben so macht.

Mein Herz wird schwer die Tage, wenn ich an die Teile der Familie denke, die Heiligabend nicht mit in großer Runde sitzen. Das nun schon zweite Jahr, in dem man abwägen muss, ob das Risiko die gemeinsame Zeit überwiegt?? Der Weihnachtsbaum bekommt kompensierend eben ein paar Glitzerkugeln.

Wenn es nicht grad die Pandemie ist, die Schwierigkeiten in den Weg ballert, kommt noch ein bisschen Schichtarbeit in die bunte Mischung des Planungswahnsinns. Nicht jeder kann zu jeder Zeit am selben Tag irgendwo eintrudeln… also los, entscheide dich, Herz wer wann gesehen wird… oder häng erstmal zur Beruhigung Lametta in den Baum.

Mein Wirbelschlumpi, der seinen Weihnachtsabend nicht bei mir verbringt.

Den Tränenstrom beim Gedanken daran kann nicht mal die hell leuchtendste Lichterkette trocknen. Dennoch wird sie an den Baum geklöppelt. Ist ja nur ein Abend, also hab dich nicht so, Herz. Wer hat denn da so viele Erwartungen, dass er jetzt daran zerbricht? Mein Gott, wird es halt dieses Jahr kein gemeinsames Fest! Stirbt auch keiner.

Sicher? Ich bin es mir nicht. Die Leere, die der Gedankenstrudel hinterlässt, hält sich hartnäckig. Ich feiere nicht allein, irgendwann ist die längste Schicht vorbei und man kann spät abends zusammensitzen, ich habe so viele liebe Menschen in meinem Leben, dass ich die drei Tage BRAUCHE, um alle mal kurz zu sehen, und die Post hat eine Überraschung nach der nächsten in meinen Dezember überbracht. So viel Liebe hat mein Briefkasten bisher selten erlebt. Und trotzdem scrolle ich durch Amazon, um eine Decke für unter den Christbaum zu ordern.

Die legt man vorher drunter. Halt die Klappe, Hirn! Ich mache das nicht für dich und Herz ist egal, wann man die wo hinlegt.

Ob des Einwands schließe ich die App dennoch und öffne zur alternativen Ablenkung eine Social Media Plattform. Menschen dekorieren, verlosen, backen und wetteifern, wer es wohl gemütlicher hat und ich werde immer missmutiger, weil es meine perfekte Vorstellung dieser Tage in der Form nie geben wird. Während ich also halb vor Wut, halb vor Enttäuschung heulend umher swipe fällt, mein Blick plötzlich auf die Storyslides einer Seele die, obwohl sie so weit weg wohnt, dennoch oft sehr nah scheint. Dieser Mensch ist es diesmal auch, der mich aus dem pandemisch geprägten Gedankenkarussell reißt. Auch ihr machen die Maßnahmen, die eisige Kälte in der Gesellschaft, der Virus und seine gesundheitlichen, aber auch emotionalen Folgen zu schaffen. Sie verabschiedet sich über die Feiertage vom Schaufenster in ihr Leben und kündigt nur einen kurzen Einblick in ihre persönliche Weihnachtstradition an. Eine Wildtierweihnacht. Mein Herz hört auf, sich theatralisch zu winden und wischt sich mit seinem Ärmel über die verquollenen Augen.

„Eine was?“, fragt es vorsichtig.

Eine Wildtierweihnacht. Diese zwei wunderbaren Menschen gehen über Weihnachten in den Wald und bringen Äpfel, Nüsse, Möhren und andere Leckereien zu ihnen bekannten Wildwechselstellen.

Ich sitze wie gelähmt vor meinem Telefon und erkenne: DAS fühlt sich gut an.

Diese Form des Zelebrierens könnte die erlernte Tradition, die sich den Umständen ergeben muss, ersetzen. Der Gedanke an einen stillen Winterwald zur Nachmittagsstunde, der meine Leere auffängt, tröstet so sehr. Als würde mein Herz Vogelfutter und Sonnenblumenkerne passend in seine Risse puzzeln und sie so von innen stopfen. Statt eines einsamen Filmemarathons, bis das Treffen mit lieben Menschen los geht, ein Spaziergang durch die wilde Schönheit des nahegelegenen Waldes. On top auch noch die Futterüberraschung und der tröstende Gedanke einer Sinnhaftigkeit hinter diesem Ausflug. Ihre Idee fängt mich so sehr auf, dass es zum ersten Mal nicht vollkommen sinnlos erscheint, dieses Weihnachtsfest ohne Schlumpi überhaupt zu begehen. Eine Waldweihnacht nur für mich und die Wildtiere, denen herzlich schnurz ist, ob der Baum in meinem Wohnzimmer nun auf einem Deckchen steht oder nicht.

Es ist ok. Ich brauche keine anderen Bräuche mehr, um zu dieser Zeit doch ein bisschen weihnachtlich gestimmt zu sein. Der Baum muss meine Traurigkeit nicht mehr übertünchen. Der Gedanke an ein Draußen sein, nichts erfüllen müssen und danach gemeinsam essen und erzählen können, tröstet mich über die Abwesenheit meines Kindes. Die Wildtierweihnacht wird dafür sorgen, dass ich beruhigt weiterschlagen kann. In meinem Rhythmus. In meiner Wohlfühlumgebung. Es fühlt sich nach Trost an.

Ich weiß nicht, ob ihr klar ist, wie sehr ihre Idee, einfach mal etwas komplett anderes, so sehr natürliches und selbstloses zu machen, mich fängt. Allein der Gedanke an die Gartenäpfel, die ich in den Wald tragen werde, lässt mich besonnen und ruhiger werden. Kalte Winterluft, die meine brennenden Erwartungen an mich selbst kühlt und ein bisschen zwischen den alten Riesen umherwandern, die mit ihren kraftvollen Wurzeln Beständigkeit in diese verrückte Zeit bringen.

Ich freue mich nun schon beinahe, meinen Rucksack zu packen und nach dem Verteilen von Kleinigkeiten für die Tiere eine warme Tasse Tee zu Fuße eines Baumes zu trinken. Gewärmt und geerdet. Für die restlichen Stunden Weihnacht, die dieses unberechenbare Jahr mit sich bringt.

Seine Abwesenheit wird dann an den restlichen Tagen mit vielen Knuddelattacken, Umhergetrage und Klammern meinerseits heilegepflastert werden, bis die Narben verblasst sind. Hoffentlich erinnert sich Hirn an den Schmerz, wenn es das nächste Mal aus nichtigen Gründen lospoltern will.

Habt alle ein Weihnachten, das euch erfüllt. Danke, ihr lieben Menschen, die mich einladen zu gemeinsamen Stunden.

Danke, du Powerfrau, für deine fabelhafte Idee, zu meinen Wurzeln zurückzukehren. Der Trost darin ist unsagbar.

Hier eine Liste von Dingen, die ich machen kann, WEIL das Kind nicht da ist:

– im Wald umher stromern, Glühwein trinken, bis spät in die Nacht mit Familie zusammensitzen, ungestört und ohne Verantwortung viel zu spät noch einen Film schauen, alle Kekse selber essen, in aller Ruhe am 24. noch Geschenke einpacken…


© 2021 hollingtonsmum


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