Vorrede
„Das Wetter ist schuld.“
Ist doch klar, oder? Das Wetter ist schuld daran, dass ich keinen neuen Text für die BlockpostTM geschrieben habe.

„Blödsinn! Du bist nur zu faul!“, brülle ich mich mental selbser an.
Ja, „selbser“. Hab mich vertippt, fand’s witzig und lasse es deshalb so.
Und es stimmt ja auch nicht wirklich. Zu faul bin ich nicht, nur zu…
…t r ä g e.
Ich habe (k)eine Ahnung, was mir die Synapsen lähmt und mich vom Schreiben abhält.
Während ich hier sitze und zumindest versuche, etwas Widerstand gegen die mich ergreifende Lethargie zu mounten, werde ich mir der Sinnlosigkeit dieses Unterfangens bewusst. Und da ich nicht in Versuchung geraten möchte, Roger Willemsens großartige Erklärungen für Misserfolg zu kopieren…
Kopiere ich einfach mich! Oder besser einen Text von mir. Ganz klassisch mit Strg+C und dann Einfügen mit Strg+V.

Der Text, den es heute zu lesen gibt, ist schon etwas älter und inzwischen Teil eines Kleinkunstprogramms mit dem treffenden Titel KEIN[SZENEN]PLAN. Und da das zurzeit ja nicht vor Publikum gespielt werden kann und eventuell 1 bis fümmf Leser*innen auch sonst Schwierigkeiten hätten, sich das hier anzuschauen…
Nun ja, genug der Vorrede.
Doch bevor es losgeht, hier noch eine Lese-/Hörhinweis:
An zwei Stellen ist ein Musikstück eingfügt.
Für höchsten BlockpostTM-Genuss bitte an den entsprechenden Stellen das Musikstück abspielen und weiterlesen.
Vielen Dank.
[der_tisch]
Donnerstag…
Die konkrete Zuordnung des Tages zu einem Namen erfordert eine erstaunliche Anstrengung meines Geistes.

Der Tisch inmitten der Filiale einer Caféhauskette ist gerade groß genug, um eine Tasse und meine Schreibutensilien, ein Notizbuch und einen Bleistift mit integriertem Radiergummi zu beherbergen. Ja, Sie ahnen es, ich bin zum Schreiben hierhergekommen.
Er, der Tisch, wackelt als wollte er sich mit einer „Mir-geht-es-auch-nicht-so-gut“-Geste meine Sympathie erkaufen.
Vielleicht hat es einen Grund, dass es der einzige freie Tisch im gesamten Café ist, bis ich an ihm Platz nehme. Zwei achtlos zurückgelassene Tassen und ein Trinkbecher zeugen vom hastigen Aufbruch ihrer Benutzer. Wer sie waren, worüber sie redeten, der Tisch hüllt sich in Schweigen.
Seit Tagen spreche auch ich mit niemandem. Nicht, weil ich mich Gesprächen verweigern würde, es finden einfach keine statt. Vermutlich, weil ich niemanden treffe, der sich mit mir unterhalten möchte.
Nun bin ich nicht unbedingt als jemand bekannt, der stets und ständig Gesellschaft bräuchte, ganz im Gegenteil. Und es ist auch nicht das erste Mal, dass ich einige Tage nur mit mir zu tun hatte.
Ich mag keinen Lärm. Er bereitet mir physische Schmerzen. Das Abfahrtsignal der Straßenbahn schneidet mir ins Hirn, die zu Verkaufsförderung eingerichtete Beschallung diverser Bekleidungsgeschäfte und Supermärkte plärrt ungefragt in meine Ohren, die in maximaler Lautstärke geführten Telefonate in Zügen, auf der Straße, am Tisch nebenan (!) führen jede Diskussion um Privatsphäre und Datenschutz ad absurdum.
Hinzu kommen „laute Menschen“. Sie zeichnen sich durch die im Social-Media-Zeitalter wohl für überlebenswichtig gehaltene Fähigkeit grenzenloser Selbstdarstellung aus, die das Zurschaustellen ihrer Laptops, SnobPhones und Tablets zu einer eigenen Kunstgattung zu steigern scheint.
Warum sitze ich also ausgerechnet hier, umgeben vom Lärm klappernden Geschirrs, der sich mit der Dauerberieselung durch Wohlfühljazz vermengt, im Zentrum in Endlosschleife ablaufender Vergleiche von YouTube Clips, Instagram und Facebook Posts, Twitter News und Tinder Swipes?
Ich widerstehe der aufkeimenden Versuchung, den Tisch zu fragen.
Ob mich allerdings die Kenntnis gesellschaftlicher Normen, die öffentlich geführte Gesprächsversuche mit leblosen Objekten mindestens als Zeichen einer gewissen Merkwürdigkeit betrachten würden oder aber das eigene Wissen um die Sinnlosigkeit eines derartigen Unterfangens von eben diesem abhalten, ich weiß es nicht.
Und noch etwas anderes bleibt vorläufig ein nicht zu lösendes Rätsel:
Wieso werde ich zum wiederholten Mal gefragt:
„Entschuldigung, sind hier noch zwei Plätze frei?“
Ich bin eigentlich der Meinung, dass meine derzeitige Ausstrahlung nicht wirklich als Einladung an meinen Tisch zu verstehen sein kann.
Aber ganz offensichtlich ist für manche Zeitgenossen der Gedanke zu abwegig, dass ein allein an einem Tisch sitzender Mittvierziger, der in ein Notizbuch schreibt, selbstverständlich nicht gestört werden möchte. Und vor allem nicht gestört werden sollte!
Die Frage nach freien Plätzen wird wahrheitsgemäß beantwortet:
„Technisch gesehen ja, aber… nein.“
… was mich, wenn ich die darauffolgenden Blicke richtig deute, wirklich sehr merkwürdig erscheinen lässt, aber auch den gewünschten Erfolg nach sich zieht.
Der Tisch, wackelig, zu klein und völlig zerkratzt, mein Refugium, ist verteidigt!
Nur allzu gern würde ich das Klischee des auf der Suche nach Inspiration in einem Café sitzenden Schriftstellers, oder in meinem Fall Kleinkünstlers, vermeiden. Doch es passt so vortrefflich zu den anderen Klischees von Mittellosigkeit und solitärem Dasein.
Und als wollte sie dem Vorwurf des Nicht-anwesend-seins entgehen, schlägt sie, ganz Klischee, unbarmherzig zu – die Schreibblockade.




Ich starre auf den Tisch, die Kaffeetasse längst geleert.
Warten.
Stimmengewirr. Wohlfühljazz. Tassenklappern.
Doch dazwischen –
Nichts.
© 2015/2020 albert sadebeck
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