Heute ohne Glitzer

Wir stehen wie immer viel zu spät in der Küche, die Uhr tickt extra laut, um mit jeder verstrichenen Sekunde nochmal drauf hinzuweisen, dass der Berufsverkehr das pünktliche Frühstück im Kindergarten verhindern wird. Ich drängle, dass er jetzt bitte endlich die Schuhe anziehen soll. 17 Sekunden später finde ich mein in Tränen aufgelöstes Kind auf der letzten Treppenstufe sitzend.

„Warum weinst du?“

„Die halten nicht“

Ich schaue genauer hin… tatsächlich… der Klettverschluss ist an der Innenseite gerissen… auch das Leder ist an der Zehkante ganz abgelaufen. Verdammt.

Wir fahren mit den unklettbaren Schuhen zum Kindergarten und besprechen unterwegs, wann wir neue Schuhe besorgen könnten.

In der Umkleide gibt es leider erneutes Drama. Die Sommersandalen, die für den Herbst zu kalt und für die Tonne zu schade sind, wurden als Hausschuhe für den Kindergarten umfunktioniert. Offenbar drücken sie aber, er zieht sie an und zeigt die Stellen auf, an denen das Leder zu enganliegt… ok. 2 Paar Schuhe also… dann lohnt sich die Fahrt ja wenigstens.

Wie verabredet gehen wir bei der nächsten Gelegenheit in den Schuhladen. Ich vergewissere mich mehrfach, dass meinem Kind klar ist, dass er sich gleich neue Schuhe aussuchen darf, WENN: Er sie anprobiert und sie testet, solange bis ICH beruhigt bin, einen Schuh gefunden zu haben der passt und nachhaltig ist und flexibel genug, den Kontakt zum Boden zu gewährleisten, damit die kleinen Kinderfüße orthopädisch korrekt und gestützt, aber nicht beengt wachsen können… und: er sich dann von seinen gewohnten Schuhen trennen muss.

„Ja.“

„Hast du das verstanden?“

„Ja.“

„Wirklich?“

„Ja.“

„Es gibt dann kein Drama, wenn die Verkäuferin die alten Schuhe wegwirft, ja?“

„Jaaaaahaaaaaaa“

„Nerve ich dich?“

„Nein.“

Na immerhin.

Ich lotse ihn in das Kinderschuhregal seiner ungefähren Größe…er soll sich schonmal umsehen während ich jemanden suche, der Ahnung von Schuhgrößen hat. Beim Weggehen beobachte ich ihn. Er hat die Arme vor der Brust verschränkt, den Zeigefinger der linken Hand an die Unterlippe gelehnt und geht langsam durch den Gang zwischen den Regalen, jeden Schuh scannend.

Als wir zurückkommen, lässt er sich widerwillig von der Fremden in einem Fuß-Scanner platzieren, der uns wenige Sekunden später digital die exakte Größe ausspuckt. Ein Phänomen. (Dass die Maschine das kann, und dass er nicht meckert, von einer komischen Frau, die nicht Hallo gesagt hat, einfach in einen Karton gestellt zu werden, sein Gesicht allerdings sprach Bände)

Wir watscheln zurück zur Auswahl und es dauerte ein paar Minuten, bis er sich endgültig entschieden hat.

Froddo Schuhe sollten es sein. Meine innere, dauerhysterische Übermutter machte Luftsprünge, eine Marke mit dünner Barfußsohle, die man so hübsch demonstrativ zusammenrollen kann. Jes. Gutes Kind.

Der Verkäuferin fällt alles aus dem Gesicht.

„Em, das ist ein Mädchenschuh.“

„Wieso?“

„Der ist pink.“

„Und?“

„Pink ist für Mädchen.“

Meine Übermutter ist in ihrem Element: Was, wenn die anderen Kinder ihn auslachen? Was, wenn die Erzieher ihm mitteilen, dass er Mädchenschuhe trägt. Wird seine Freude dann gebremst? Hm… ich versuche Worte vorzubereiten, ihn in seiner Entscheidung zu stärken und zu seinen pinken Schuhen zu stehen.

„Ich finde den sön.“

Oh ach guck. Er macht das von allein. Puh

Die Verkäuferin schaut mich an. Erwartungsvoll hochgezogene linke Augenbraue.

Ich zücke meine (inzwischen wieder aufgetauchte) EC-Karte und halte sie ihr hin.

„Wollen Sie denn gar nichts unternehmen?“

„Doch, ich würde die sönen Suhe gern kaufen.“

Sie schweigt verächtlich und murmelt „Sonst noch was?“

Ach ja. Klar. Neben den Hausschuhen brauchen wir ja auch Herbstschuhe.

Ich schaue meinen Sohn an und sage wir müssen noch einmal zurück, wir brauchen ja ein zweites Paar für draußen. Ihm ist alles egal. Er ist zufrieden. Dieselbe Marke wird für ihn vom Stapel Kartons genommen und die Verkäuferin lässt nur verächtlich „Hier gibts auch Glitzer.“ verlauten, als er bereits ein unauffällig dunkelblaues Paar zu sich zieht.

Freundlich erwidere ich, dass wir Glitzer heute nicht brauchen, aber gern für die Winterstiefel wiederkommen. Ich bezahle und sie rauscht von dannen. Die kaputten Schuhe behielt sie wie erwartet zurück.
Zum Glück war er damit safe, winkt kurz hinterher und sagt „Düss kaputte Suhe“, dann folgt er mir brav zum Auto. Durch und durch glücklich über seine neuen Hausschuhe. ♡

Wir mussten nun schon des Öfteren erklären, dass Jungsfüße nicht abfallen, wenn sie pinke Schuhe tragen.

Seine Begeisterung hält zum Glück an.

Vielleicht schaffen wir es ja in 2-3 Generationen, jedem Kind jede Farbe zugänglich zu machen, geschlechtsunabhängig.


© 2020 hollingtonsmum


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