previously on AAAAAAARRRGH!
„Als ich am späten Nachmittag nach Hause komme, fühlt sich die Wohnung irgendwie seltsam an. Es dauert nicht lange und ich bemerke (…):
Super! Ein bescheuerter erster Tag im Zivildienst und dann hat mir jemand meine komplette CD-Sammlung geklaut!“
„September 1996, ich bin selbst Anfang zwanzig und betrete wieder ein Alten-/Pflegeheim.“
and now… the continuation!
AAAAAAARRRGH! – Teil 4
Ein regelmäßiger morgendlicher Fußweg zum Dienst von etwa 1,3 km oder geschätzt 15 Minuten und 32 Sekunden ist für einen jungen Mann Anfang 20 natürlich eine Zumutung. Deshalb brauche ich dringend ein Fahrrad, welches ich zwei Wochen zuvor im Tausch gegen meine Stereoanlage bekomme. Brauch ja gerade ‘ne Stereoanlage nicht so dringend, nicht wahr? Und ein paar Wochen (oder Monate?) zuvor schon verschwand das bisher in meinem Besitz befindliche Fahrrad aus dem Garten hinter dem Haus meiner potenziell künftigen Schwiegereltern auf magische Weise. AAAAAAAAARRRGH!
Der Dienst in der Pflege ist heutzutage wohl nicht wesentlich anders als er sich 1996 darstellt. Es ist harte Arbeit, die neben physischer auch eine mentale Stärke erfordert, die ich nicht habe. Oder aufbringen kann. Oder aufbringen… will? Vielleicht ist es auch einfach eine Frage der Technik, sowohl in physischer wie auch mentaler Hinsicht.
Und ich bin ja nicht unerfahren, nicht wahr? Hab ja schließlich mit meiner Mutter und meinen Geschwistern die Oma mehrere Jahre zuhause gepflegt. Mit allem, was dazugehört. Windeln, Waschen, Haare kämmen, ein bisschen häusliche Physio, damit der nach den Schlaganfällen nahezu unbewegte Arm nicht völlig erstarrt (gleiches galt fürs Bein), wenig Schlaf und viel Rufen, Klopfen, immer wieder dieses Klopfen…
Eigentlich erinnere ich mich nur an hoffnungslose Überforderung. Man sollte meinen, mit vier älteren Geschwistern und einer Mutter lässt sich so ein Pflegealltag zuhause regeln. Das sieht dieser spezielle Alltag aber etwas anders und wird für mich nicht unbedingt zu einem Spaziergang. Für die anderen vermutlich auch nicht, aber ich will niemandem meine Worte in den Mund legen. Auf jeden Fall aber ist es furchtbar für meine Mutter, deren Psyche selbst regelmäßige Krankenhausaufenthalte nötig machte. Und dann habe ich ja nicht nur ältere Geschwister. Auch mein (damals wirklich noch) kleiner Bruder muss versorgt werden.
Es ist jedenfalls nicht schön. Mein Zimmer liegt, obwohl in einer anderen Wohnung, direkt neben dem meiner Oma. Und das heißt: Nicht mehr durchschlafen. Dauerbereitschaft, denn sie könnte etwas brauchen, also wird mein Schlaf ein sehr leichter und mein Nervenkostüm… nun, es wird wider Erwarten nicht stabiler, wer hätte das gedacht?
Zu jung. Ich bin einfach zu jung. Oder zu unerfahren. Oder was auch immer… Krass, es passt gerade bei diesen Sätzen so hervorragend, dass ich im Präsens schreibe. Ja, in unschöner Weise fühle ich mich noch immer zu jung, zu unerfahren, zu was-auch-immer.

Das Wichtigste ist immer: „Sind alle versorgt.“ Wobei „versorgt sein“ heißt, dass alle ihre Windeln gewechselt bekommen, Mittagessen und Kaffee/Tee/Kakao hatten und die gottverdammte Bude bloß keinen Staubkrümel im Sichtbereich hat, denn „was sollen denn die Leute denken“! Diese Leute aus ihrer Kirchengemeinde, die hin und wieder mal zu Besuch kommen (kamen die überhaupt, oder bilde ich mir das nur ein?), oder der Hausarzt, die eine professionelle Pflegekraft, die dann ab irgendeinem Zeitpunkt einmal die Woche kommt und das Nötigste macht…
So sehr sind wir, nein, bin ich (keine Gruppenhaftung!) damit beschäftigt, ausgelastet… überlastet (?), auch nur die notwendigen Dinge zu erledigen, dass mir das Wichtigste verloren zu gehen droht: Sie ist meine Oma, pah, die Omi, und ich bin ihr Enkel!
Und ich bin allein und habe keine Ahnung, wie man sich richtig um jemanden kümmert. Weil es mir niemand beigebracht hat und um Gotteswillen dürfen wir hier nicht scheitern, wie sieht das denn aus, natürlich schaffen wir das zuhause, und wir schaffen es nicht und irgendwann siegt die Vernunft und die Omi muss in ein Pflegeheim.
All das kann ich im September 1996, am zweiten oder dritten Tag im Pflegeheim, noch nicht so formulieren. Es soll noch fast 25 Jahre dauern, bis ich die ersten Gedanken dazu wirklich in Worte fassen kann. Dennoch bin ich mir auch damals völlig dessen bewusst, dass ich aus Schuldgefühlen in dieses Pflegeheim gehe. Warum nicht diesen Leuten geben, was ich der Omi nicht geben konnte?
Weil es so nun einmal nicht funktioniert. Es dauert noch viele Jahre, bis ich verstehe, dass ich natürlich nicht wegen der Leute dort war, sondern meinetwegen. Um Buße zu tun, so etwas wie Absolution zu erhalten, meine inneren Dämonen zu besiegen. Ein Akt größten Egoismus‘.
Am dritten Tag macht sich das Universum mal wieder bemerkbar. Ich stelle mein erst kürzlich nicht ohne seelische Schmerzen erworbenes Fahrrad für die Dauer von Reingehen>“Tach, haste das neue Album von Blablaba da?“-fragen>Rausgehen vor Sigurds Plattenladen ab und als ich rauskomme…
Ok, morgen also früher aufstehen, weil ich ja jetzt laufen muss. Mein Kopf zählt kurz durch: CDs geklaut, Stereoanlage weg, Fahrrad gestohlen – alles in drei Wochen. Richtig geil.
Am nächsten Morgen gibt mir mein Rücken (so knapp oberhalb des Beckens) ein klares Signal, was er von der Gesamtsituation hält, denn er sendet Signale, als drücke ihm jemand Excalibur zwischen die Wirbel. Unangenehm, oder wie ich es nenne:
AAAAAAAAARRRGH!



Fortsetzung folgt…
© 2021 albert sadebeck
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