previously on AAAAAAARRRGH!
„…Zivildienst. Das war das, wozu Mann gezwungen wurde, wenn Mann keinen Bock hatte, zuhause Krieg zu spielen und deshalb vielleicht irgendwann mal in einen solchen geschickt zu werden.“
„Mein Kopf zählt kurz durch: CDs geklaut, Stereoanlage weg, Fahrrad gestohlen – alles in drei Wochen. Richtig geil.“
„Am nächsten Morgen gibt mir mein Rücken (so knapp oberhalb des Beckens) ein klares Signal, was er von der Gesamtsituation hält…“
and now… the continuation!
AAAAAAARRRGH! – Teil 5
Schon das Aufstehen ist an diesem Tag nicht nur eine Aufgabe, eine Herausforderung, es ist eine… Mission! Zu blöd nur, dass ich diese nicht an Ethan Hunt delegieren kann. Vielleicht hätte ich ja mit Hilfe seiner Extremausrüstung aus dem Bett gehoben werden und mein Rücken irgendeine Form von Entlastung erfahren können.
Statt aber in stylischer Action Movie Montur aus dem Bett zu schweben, wälze ich mich wie ein träges Walross von der Matratze und weiß: So kann ich die Ommas heute auf keinen Fall aus ihren Betten hieven. F*ck, ich weiß ja nicht mal, wie ich bis zu dem Haus, in dem ihre Betten stehen, kommen soll!
Ich sehe ein, „Haus, in dem ihre Betten stehen“ ist nicht die beste aller Möglichkeiten, meine Dienststelle zu bezeichnen, also doch wieder „Pflegeheim“. Oder „Altersheim“?
Es ändert nichts daran, dass ich, wie man so schön sagt, kaum krauchen kann. Was ist das überhaupt für eine Wort, „krauchen“? Klingt wie „rauchen“, was aber nicht in die Tüte (ha-ha) kommt. Also, jetzt nicht. Damals schon, da ist das noch cool. Oder ich rede mir das ein.
Die Lage spitzt sich zu. Während ich ob des zwischen meinen unteren Wirbeln zu stecken scheinenden Schwerts neue Rekorde im Zeitlupe laufen aufstelle (Skills, die bei einer bevorstehenden Karriere als Special Ops Dude sicherlich beeindruckend wären), rennt mir im wahrsten Sinne des Wortes die Zeit davon. Ich muss irgendwie a) meine Dienststelle informieren, dass ich heute nicht zum Dienst erscheine und b) zu meiner Hausärztin, um mir von ihr die schriftliche Bestätigung meiner vorübergehenden Dienstunfähigkeit geben zu lassen. Für a) gibt es heutzutage so handy Hilfsmittel wie… Mobiltelefone. 1996 habe ich nicht mal Festnetz. Und selbst wenn ich ein Mobiltelefon hätte… mein erstes wird ein gutes halbes Jahr später im Netz von E-Plus nur an ausgewählten Orten Empfang haben. Und meine Wohnung wird nicht dazugehört gehabt haben werden sollen müssen lassen tun!
Erinnerungslücke.
(Man kennt dieses Phänomen aus „Marc-Uwe Kling – Das Känguru-Manifest“. Oder einem der anderen Bücher. Ist auch egal. Wichtig ist, ich hab mir die Idee ge-… geborgt. Nicht die Erinnerungslücke an sich, die hab ich wirkl-… Ach, lasst mich einfach.)
Wartezimmer gehören schon lange zu den schönsten Orten, an denen verweilen zu dürfen ich von Zeit zu Zeit das Glück habe.
Das sanfte Dudeln Gehirnstrom fressender, „Guten Morgen, Thüringen!“ plärrender Hintergrundbeschallung der besten, schnellsten und lautesten Formatradios, in ausführlicher Diskussion der Krankengeschichte ihrer gesamten über sechzigjährigen Nachbarschaft vertiefte Frau Müller-Meier-Schmidts, der liebliche Duft geöffneter Medikamentenschränke, wer fühlte sich da nicht wie von Zauberhand geheilt?
Da sitz‘ ich nun, ich armer Tor, und bin so froh als wie zuvor. Oder so…
Acht Stunden später.
(Ja, ich rechne hier in gefühlter Zeit. Verklagt mich doch!)
Aus der Tür, hinter der Frau Dr. Doktor sitzt, ertönt ein schon nichts Gutes verheißendes „Herr Saaadebeck…!“
„Aha, Dir tut also der Rücken weh, so so.“, fragt sie, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, ihren Unglauben zu verbergen. In her defence, eine kaputte Wirbelsäule kann man nicht ohne Special Equipment sehen. Und in ihren Unterlagen steht wohl auch nicht, dass ich bei einem nur mäßig lebensgefährdenden Unfall mit dem Fahrrad im zarten Alter von 11 Jahren das Glück habe, danach wieder laufen zu können. Allerdings nicht ganz ohne Nachwirkungen, wie sich zeigen sollte.
Frau Dr. Doktor erkennt immerhin an, dass ich so keinen normalen Dienst machen kann.
„Ich stelle fest, Du bist bedingt diensttauglich.“
Sollte sie nicht eigentlich langsam dazu übergegangen sein, mich zu siezen?
„Also, Schreibtischarbeiten kannst‘de machen. Außerdem, ich muss das ja alles melden…“
Ans Bundesamt für Zivildienst in Erfurt, Anmerkung des Zivildienstleidenden
„Du kriegst noch ne Überweisung zum Orthopäden, dann kuck’mer mal, was’de da wirklich hast.“
Ob ich…
Ja, ich sage ihr, dass ich diesen misstrauischen Ton irgendwie… herabwürdigend finde.
„IHR HABT DIE OMI DAMALS INS HEIM ABGESCHOBEN! UND DAS, DAS NEHME ICH DIR ÜBEL.“
Mir klappt die Kinnlade nach unten.
Yep, das sitzt.
Aber das ist weder Zeit noch Ort für diese Diskussion.
Was ich natürlich noch nicht weiß. Ich habe sofort das Bedürfnis, ihr zu widersprechen, mich zu rechtfertigen, mir…
…fehlen die Worte. Doch ich habe tatsächlich keine Zeit, denn ich muss meine extrem coole „Dienstfähig mit Einschränkungen!“-Bescheinigung ins Büro der Pflegeheimverwaltung bringen. Und die… befindet sich nicht da, wo meine Dienststelle ist.
In rekordverdächtigen 45 Minuten komme ich in der für nicht Bewegungseingeschränkte in gut 20 Minuten erlaufbare Heimverwaltung an.
Frau Personalchefin nimmt mir die schöne Bescheinigung mit der gleichen „So so, Rückenschmerzen! Ich glaube Dir kein Wort!“-Bewegung aus der Hand, mit der Frau Dr. Doktor sie mir in die Hand drückte.
„Dienstfähig mit Einschränkungen, was soll’nn das heißen?“
„Wie, Schreibtischarbeit? Sowas hammorr hier nich! Entweder sinn‘se krank oder nich.“
Vergeblich versuche ich ihr zu erläutern, dass das das Bundesamt für den Zivildienst eben nicht so schwarz/weiß betrachtet und Frau Dr. Doktor den Schein nun einmal so und nicht anders ausgefüllt hat.„Wenn’se nich‘ arbeiten könnn…“ (sie meint „wollen“), dann gehn’se zu Ihrorr Hausärztin und lassen sich richtig krankschrei’m!“
Den ganzen Weg also wieder zurück?
AAAAAAARRRGH!

Fortsetzung folgt…
© 2021 albert sadebeck
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