So ist das nun einmal: Man fängt an, wohlwissend, dass man der selbstgestellten Aufgabe nicht gerecht werden kann. Ok, ich fange so an. Meine Therapeutin hat mich nämlich dazu ermahnt, nicht zu verallgemeinern, wenn ich eigentlich von mir erzähle. Und gerade wird mir bewusst, dass Beschreibungen und Behauptungen, man tue irgendetwas, bei mir meist keine Verallgemeinerung, sondern einen Versuch darstellen, sich mit anderen, ähnlich tickenden Hirnen zu connecten. Ja, ein Anglizismus, talk to the paw!
Sie hätte vermutlich ob solcher Durcheinanderdingsung von Sprachen nur den Kopf geschüttelt und mit einem kaum merklichen Abwinken irgendetwas vor sich her gebrabbelt. Nein, ich rede nicht von meiner Therapeutin. Die würde mich wohl darauf hinweisen, dass ich meinen Einstiegsgedanken noch nicht zu ende erzählt habe und schon mit dem nächsten weitermache. Zur Verwirrung aller. Also, nochmal ordnen.
Ich fange also an mit dem Wissen, der selbstgestellten Aufgabe (sehr wahrscheinlich) nicht gerecht werden zu können. Die selbstgestellte Aufgabe: Eine dem Anlass angemessene Blockpost™ zu einem Jubiläum verfassen.
Jetzt fragt Ihr Euch natürlich: Welches Jubiläum?
No, seriously, macht das mal! Los, fragt doch mal laut in den Raum, in dem Ihr gerade seid „Welches Jubiläum?“ Und wenn Ihr das gemacht habt, schreibt mir doch gerne, wie die Leute reagiert haben, die mit Euch in diesem Raum waren!
Mitmachanklickgedöns™
Meine Antwort auf die Frage: Einhundert.
Nein, nicht die einhundertste Blockpost™, dies ist erst Folge 96 (Whuuuuaaat?!).
Heute vor 100 Jahren wurde die Omi geboren. Unfassbar.
Die Omi, ihres Zeichens Großmutter mütterlicherseits, hatte einiges, was der Rest der Familie nicht hatte. Zum Beispiel eine Anrede, die konstant und konsequent war. Während wir Generation-X-Sprösslinge bei unseren Eltern rumeierten, ob jetzt wirklich noch „Mama“ angemessen sei (man ist immerhin schon 12, da ist man ja schon groß) oder ob es zu rumpelig klingt, einfach „Mutter“ zu sagen oder doch lieber „Mütterchen“, sagt man „Vater“ oder „Väterchen“ als Anrede oder doch lieber mit Artikel, also in der dritten Person „der Vater“, „das Väterchen“… all diese Erwägungen gab es bei der Omi nie. Sie war einfach die Omi und fertig. Und für die nachfolgende Generation dann eben die Uri. Ich hab zwar nie verstanden, wieso man… mein Bruder… meine Neffen? Wer zum Henker hat denn gedacht es sei eine gute Idee, sie mit dem Namen eines Schweizer Kantons anzureden? Aber ok, Bayern als Wahlheimat bleibt halt nicht ohne Folgen, nicht wahr, liebster Bruder? :*

Ehrlich gesagt, ich habe weder Lust auf eine biografische Abhandlung noch stünden mir für ein derartiges Unterfangen ausreichend Informationen und Belege für diese zur Verfügung. Es geht schon bei der Geburt los. Also, nicht beim biologischen Vorgang, der fand nach allem, was wir über die menschliche Fortpflanzung wissen, unzweifelhaft statt. Auch das Wann… Moment, das Wann kann ja eigentlich nur auf einer Geburtsurkunde zweifelsfrei belegt sein, oder? Und wenn es diese gibt (looing* at you, dear Sister and Brothers), dann müsste doch auch der Geburtsort darauf stehen, oder?
*) natürlich soll das „looking“ heißen, aber der Typo ist einfach zu nice…
Doch was weiß ich über ihren Geburtsort? Schlesien. Wow. Das grenzt es natürlich ausreichend ein. (googelt „Schlesien“…) Da geht’s schon los: Niederschlesien oder Oberschlesien? Könnt Ihr mal beantworten, dear Siblings.
Mitmachanklickgedöns™
Mein Tipp: Oberschlesien. Nicht weil es cooler klingt. Ich meine, tatsächlich etwas in der Art mal gehört zu haben.
Und so viel, wie ich über den Geburtsort weiß, so viel weiß ich auch über die folgenden Jahre, so gut wie nichts. Sie hatte eine ältere Schwester, an die ich mich auch nur flüchtig erinnern kann.
Dann war sie eine von vielen, die am Ende des Zweiten Weltkriegs als Vertriebene gen Westen ziehen mussten. Hochschwanger war das nochmal ein ganz anderes Level von Prüfung der Leidensfähigkeit.
Und da bemerke ich, wie ich mich gedanklich verzettele. Ein paar Bruchstücke ihrer Biografie vermengen sich mit vielen Ungewissheiten und…
Abendsonne
Es erinnert an aus dem Boden emporkochende Lava, dieses Geräusch. Noch verdeckt vom veilchenblauen Muster ihres Gewands, doch verraten durch den markanten Geruch weiß er aber:
Nicht ungestüme Natur bahnt sich ihren Weg, nein, was er beobachtet, ist Teil eines wohlgeordneten und zigfach erprobten Ablaufs.
Dumpfes Poltern, wie eine Gerölllawine in der Ferne. Sehr kurz, mit einer kleinen Unterbrechung meist. So auch heute, als ein paar der stumpf-braunen Objekte den für sie vorgesehenen Behälter verfehlen und zu Boden fallen. Doch dieses Poltern auf dunklen Dielen klingt noch etwas schwerer, wie das Klagen einer Stimme nicht nur verborgen hinter diesen Dielen, sondern hinter längst vergangener Zeit.
„Du bist ein unnützes kleines Ding!“, hörte sie die Stimme grollen und hastete zu Boden, Ordnung wiederherzustellen und den Schaden wiedergutzumachen.
Sie konnte ihn nicht sehen, denn er war nicht durch die Tür gegangen, wie er es ursprünglich vorhatte. Irgendetwas hatte seine kleine Hand dazu gebracht, sie auf halbem Wege anzuhalten und ihn auf diese Art vor Blicken aus dem Inneren des vor ihm liegenden Raums zu verbergen. War es ein Instinkt, eine Ahnung oder nur der Zufall, der ihm nun etwas zeigte, was ihm unmöglich vorkam. Ihr, der immer starken, unerschütterlichen, nie wankenden, nie klagenden… ein Laut, ein winziges Schluchzen einem versehentlichen Atmen gleich, löste sich von ihrer Seele. Ganz klein und beinahe nur im flüchtigen Zucken ihrer Lippen wahrzunehmen. Vielleicht hätte er ihn überhört, wenn nicht die eine Träne im Schein der Abendsonne so geglitzert…
(2020)
Ich weiß wirklich nicht, wie ich von ihr richtig erzählen soll. Man kann in so einer kleinen Blockpost™ nicht einem Leben gerecht werden, dass 80 Jahre dauerte und ein Ausmaß an Herausforderungen hatte… Sie war diejenige, die eine dysfunktionale Familie mit 6 Kindern zusammer hielt, als ich es mit mir allein hinbekomme. Hin und wieder schleppte sie mich in die Kirche, wohl in der vergeblichen Hoffnung, wenigstens eines ihrer Enkelkinder in Gottes Arme zu führen. Da musste ich sie enttäuschen, denn ich war schon als kleiner Junge nicht von dem Konzept überzeugt. Und doch saß ich viele Jahre später mit ihr bei einem Glas Wein und sie erzählte mir von einem Erlebnis, dass sie ihren Glauben hinterfragen ließ. Eine Nahtodeserfahrung, deren Realität und Wahrhaftigkeit sie nicht zu leugnen vermochte, obwohl ihr Glaube das so gar nicht vorsah.
Ein paar Jahre zuvor tappte ich wiederum in eine von ihr unfreiwillig aufgestellte Falle. Es war Ostern* und meine Mutter aka ihre Tochter hatte Geburtstag. Und das an einem Wochenende! Da kamen alle möglichen Leute und die mussten natürlich mit Kuchen und Torten versorgt werden. Die Omi war geradezu in einen Back- und Tortenzusammendings-Rausch verfallen. Die Tische in ihrer Wohnung waren bis über den Rand mit Torten vollgestellt. Und Klein Albert wollte sich (warum auch immer) kurz in Omis Wohnzimmerchen (yep, es war winzig) in einen Sessel setzen. Gesagt, halb hingesetzt und plötzlich ein Gefühl von kühlem… Gewabber (?) am Po! Ich schrecke hoch, obwohl ich noch gar nicht richtig sitze und drehe mich um. Da klebt breitgesessen eine halbe Puddingtorte im Sessel. Eine Puddingtorte! Die andere Hälfte klebt an meinem Allerwertesten.
Oh nein, die schöne Puddingtorte, raus da jetzt, du verteilst ja die Hälfte im Flur, wuäääh. Das fasst die unmittelbaren Folgen in etwa zusammen.
Ach Omi, wir hatten unsere Ups and Downs und ganz sicher war ich nicht der Enkelsohn, den Du verdient hättest. Letztendlich haben wir uns aber verstanden, und dafür bin ich Dir sehr dankbar. Und so feiere ich Dich heute, wenn auch ohne Kuchen oder Feuerwerk und vielleicht mit ein paar Tränen mehr, als ich vorher ahnte. Die wichtigsten Fragen konnten wir am Ende miteinander klären. Bis auf eine:
Warum in aller Welt stellt man eine mit Schokoladenguss überzogene Puddingtorte im dunkelsten Zimmer auf die Sitzfläche eines braunen Sessels?

© 2021 albert sadebeck
Kommentar verfassen