Ein Mann beim Staubsaugen. Nichts Ungewöhnliches.
Er ist nackt.
„Widerlich“, vermutlich der erste Gedanke bei den meisten.
„Warum?!“, eine naheliegende Fragestellung.
Weil er es nicht anders verdient und… keine Lust hat.
Er will sich nichts anziehen. Er hat es nicht verdient, Kleidung zu tragen. Nicht einmal in seiner Wohnung. Ein armer Tropf, unwürdig, verachtenswert, nutzlos.
Immerhin ist er allein und belästigt niemanden mit seiner erbärmlichen Erscheinung.
„Warum?!“
Warum saugt er Staub? Hat er nichts Besseres zu tun? Sieht er keine andere Möglichkeit seinem sinnenterleerten Dasein Bedeutung einzuhauchen als staubzusaugen?
Die Wahrheit ist, er muss. Ein Zwang bürdet ihm die Banalität dieser alltäglichen Handlung auf.
Natürlich hätte er das auch auf einen anderen Tag verschieben können, wie die ganzen letzten zwei Monate schon. Oder auf eine andere Uhrzeit, nachts, halb drei. Um sich an seinem Nachbarn zu rächen.
Er hasst seinen Nachbarn, denn der ist laut. Aus seiner Wohnung dringt täglich von 5:15 Uhr bis 6 Uhr und von 17:15 Uhr bis 18:00 Uhr ein unerträglich hochfrequenter Ton, ein Fiepen. Ein Geräusch, dessen genaue Ursache der Mann einfach nicht herausfinden kann. Es ist nicht allzu laut, aber gerade laut genug, dass es in der Wohnung kein Entrinnen gibt.
Als wäre das nicht genug! Abends, wenn er die dringend nötige Nachtruhe genießen möchte, dröhnt aus der Nachbarwohnung das peinliche Geplapper billiger Seifenopern, Game Shows oder was dieses Arschloch sonst halt so glotzt.
„Warum?!“
Weil er befürchtet, dass der allgegenwärtige Staub und seine daraus geborenen Flusen einen Pakt der Finsternis mit dem Wasser der Waschmaschine eingehen könnten.
Nein, sie läuft nicht aus, die Waschmaschine.
Sie läuft einfach gar nicht.
Nicht mehr.
Sie will das verdammte Wasser nicht abpumpen, die Wäsche nicht schleudern, die Tür nicht freigeben.
Seine große Hoffnung ist, dass nur das Flusensieb verstopft ist, dass er mit einem einfachen Handgriff diese Waschmaschine vor ihrem sicheren Tod bewahren kann. Er kann sich einfach keine neue Waschmaschine leisten. „Erbärmlich“, denkt er, während er den Staubsauger über den Boden schrammen lässt.
Es lässt sich nicht vermeiden, er wird den Ablauf an der Vorderseite öffnen und das Wasser ablaufen lassen müssen, 3,9 cm über dem Boden. Das Wasser wird sich auf dem Boden verteilen, unaufhaltsam, und eine unheilige Allianz mit Staub und Flusen eingehen.
Orthanc und Baradur, und keine Arwen, die die Fluten mit ihrer Elbenmagie zähmen könnte.

Der Boden ist gesaugt. Toll.
Da kniet er nun vor seiner Waschmaschine, bewaffnet nur mit einer 3,6 cm flachen Frischhaltebox, und lässt Milliliter für Milliliter das Wasser aus der Maschine entweichen. Nackt, unwürdig, verachtenswert.
Wahrscheinlich ist er gar nicht unwürdig und verachtenswert. Eine Freundin, nicht „seine“ Freundin, denn er hat keine Freundin… hatte daher neulich aus Gründen die Idee, seiner Selbstverachtung mit einem einfachen Trick zu begegnen.
„Das sind 5 Bohnen. Die steckst du in deine rechte Hosentasche. Und jedes Mal, wenn du irgendetwas gut gemacht hast, nimmst du eine Bohne und steckst sie in die linke Hosentasche. Du wirst erstaunt sein, wie schnell deine rechte Tasche leer sein wird.“
„Erstaunlich“, denkt er sich, noch immer vor der Waschmaschine kniend. Warum passen in die kleine Waschmaschine offenbar die Fluten des Flusses Isen? Und wo ist Gandalf, wenn man ihn mal braucht? Obwohl, so toll ist der auch nicht. Kann coole Tricks, benutzt die aber immer nur ein Mal zum Angeben und dann nie wieder.
Das Wasser ist inzwischen gebändigt. Vorsichtig prüft er, ob sich die Tür zur Trommel öffnen lässt…
Ja! Die Waschmaschine befindet ihn für würdig und lässt ihn die Tür öffnen und er weiß, morgen kann er wieder Kleidung tragen! Wenn er die Maschine dazu bringt, „schleudern/abpumpen“ auszuführen…
Er greift mit der linken Hand vorsichtig in die Öffnung des Flusensiebs und sucht. Und findet.
Eine Bohne.
Eine zweite Bohne findet er im Innern der Trommel. Und eine dritte, vierte, fünfte…
Er fühlt sich verachtenswert, unwürdig, nackt.

P.S.: Liege jetzt in der Wanne. Es schien mir ob der (noch) nicht tragbaren Kleidung naheliegend.
© 2019 albert sadebeck
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