Verzicht auf das ICH zugunsten der 3. Person (Singular)

Nur. Keine. Panik.

Nur keine Panik!

Möchte er gerne zugerufen bekommen, könnte es aber gerade sowieso nicht hören. Zu dick ist die Watte, die sich, alles dämpfend, um ihn gelegt zu haben scheint, so dass nichts übrig bleibt von seinen Gefüh-

Ganz von allein.

Ganz … allein.

Und was soll das überhaupt, „Nur keine Panik!“?! Er besteht aus nichts anderem als Panik! Das wird man doch wohl noch sagen dürfen, Panik! Man wird doch wohl einmal seinen ganzen Schmerz herausschreien dürfen! Aber genau das macht er eben nicht.
Das wäre ihm zu viel Nähe zu… seinen… Gefüh-

Es mag wie das beknackte Tagebuch eines von Hormonen überwältigten Teenagers klingen, aber die Sache ist nun mal so einfach und schnell beim Namen genannt, dass es fast schon peinlich ist:

Er hat Liebeskummer.

Bäh.

Bäääähhhhh!

(Hier nach Belieben Kotz-Emojis einsetzen)

Liebeskummer, immerhin etwas, womit er Erfahrung hat, hö hö.

Könnte man meinen, wenn man mal seine Biografie in Form einer Chronologie gescheiterter Beziehungsversuche notierte.
Na, dann machen wir das doch jetzt mal!


No. 1: Thea

In Thea war er in der 1. Klasse verliebt, hat es aber nicht bemerkt, bis er sie in der 11. (oder 12.?) Klasse wieder traf und sich fragte was hätte sein können, wenn er mit 7 oder 8 Jahren über die Tiefe seiner Gefüh-

No. 2: Denise

In der 5. Klasse traf er auf Denise, weil ihre und seine Klasse zusammengelegt wurden. Sie machte ihm zwar relativ schnell und unmissverständlich klar, dass das nix wird mit ihm und ihr, aber so richtig angekommen ist das dann erst gegen Ende… er wagt kaum es auszu-, also niederzuschreiben… gegen Ende der 10. Klasse. Talk about Ausdauer! Oder Dummheit. Oder halt „Kann ich doch nichts dafür wenn’s nicht weggeht, dieses beknackte Gefüh-“

Hat er „Kann ich doch nichts dafür…“ geschrieben? Er meint natürlich „Kann er doch nichts dafür…“, denn damals hat er beschlossen, auf das „Ich“ zugunsten der 3. Person (Singular) zu verzichten. Zugunsten einer ganz bestimmten 3. Person, Thomas nämlich.
Denise war damals einigermaßen in Thomas verknallt, was Thomas ziemlich gut fand. Nicht so gut fand er wohl die Tatsache, dass er für Knutschen-mit-seiner-Hand-an-Denise‘-Brust irgendwie, nun ja, auch emotional bei ihr sein sollte. Also nicht nur Knutschen und Fummeln und so, sondern so richtig Freund sein.
Dachte sich Denise, sagte Denise, klagte Denise.
Aber nicht bei Thomas, sondern… bei ihm.

Und er, supportive wie er gerne sein wollte, schluckte all seinen Schmerz und ging zu Thomas. Um ihm an Denise‘ Stelle ins Gewissen zu reden.

No. 3: Winnie

Mit Winnie war es wie mit Denise, nämlich nicht. Nur halt ganz anders nicht. Und auch nicht so lang nicht, nur so drei oder vier Jahre nicht. Das Schicksal hat ihre Wege dann in einem Anfall von Erbarmen getrennt. Obwohl beide in derselben Stadt studiert haben.
Ha, haben sie eben nicht! Er war sogar zu blöd, sich für das 2. Semester einzuschreiben, weshalb er auch direkt exmatrikuliert wurde. Dummerweise wurde auch gleich sein Bafög direkt zur Rückzahlung fällig, aber das ist eine andere Geschichte.

No. 4: Selena

4 Jahre und 5 Monate. Länger hat es danach keine mit ihm ausgehalten. Er hätte es wohl noch länger ausgehalten, wenn man die gut 6 Jahre nimmt, die er gebraucht hat um…
Heute sind sie aber noch immer gute Freunde, was er sehr zu schätzen weiß.

No. 5: Antonia

Die Geschichte ist eigentlich auch ein eigenes Kapitel wert, hat sie doch einiges an Drama zu bieten. Doch an dieser Stelle nur so viel: Nach etwa 6 Monaten gab sie dann endlich nach und sie lebten glücklich und zufrieden, bis sie ihm 15 Monate später doch den Laufpass gab.
Hat er auch ‘ne Weile gebraucht, um das ein bisschen zu verdauen.

No. 6: Vera

Auch so eine Geschichte, wo er auf ihre wohl unschuldig gemeinten Sympathiebekundungen nicht so reagierte, wie sie sich das vorgestellt hat.
Ergebnis… ach, lassen wir das.

No. 7: Marlies

Für immer. So fühlte sich das mit Marlies an. Zugegeben, es fühlt sich für ihn jedes Mal „für immer“ an, sonst würde er nicht sein ganzes… Herz? Jedenfalls kennt Marlies ihn ziemlich gut. Die Geschichte ist hier aber auch noch nicht zu Ende, obwohl der Teil mit der Beziehung nun auch schon mehr als ein paar Jahre zurückliegt.


Und jetzt wird’s schwierig, denn alles Ablenken und Sinnieren über gescheiterte oder nie entstandene Beziehungen bewahren ihn nicht davor, sich mit der Gegenwart auseinandersetzen zu müssen. Na ja, ein bisschen kann er noch Emotionsprokrastinieren indem er darauf hinweist, dass die Liste unvollständig ist. Oder von seiner Waschmaschine erzählen, das wär‘ doch ‘ne super Idee!

Das war nämlich so:

Da sitzt er so in der Küche, weil er halt drauf wartet, dass die Wäsche endlich fertig ist, denn die muss noch aufgehängt werden. Und während er so dasitzt und mit seinem SnobPhone rumdaddelt und warum fühlt sich der rechte Fuß so nass an und… och neee!
Läuft die Waschmaschine schon wieder aus, diesmal direkt an der Tür. An der Tür? Wieso das denn? Glaubt man nicht, wenn man nicht dabei war, aber eine Socke, eine verf*ckte Socke (!) hat sich in der Tür eingeklemmt und verhindert nun, dass diese wasserdicht schließt. Die nächsten 22 Minuten bis zum planmäßigen Ende des Waschprogramms verbringt er mit Lappen und Eimer auf dem Küchenboden.



Und es ist 3:31 Uhr. Man schreibt keine Nachrichten um 3:31 Uhr. Was immer passiert, Nachrichten um 3:31 Uhr sind nie gut, egal ob man sie schreibt oder liest. 2:51 Uhr ist auch nicht besser, er hat’s überprüft. Was hat ihn geritten, um 3:31 Uhr in sein verkacktes SnobPhone zu starren und Nachrichten zu lesen? Und warum zur Hölle musste er diese beantworten, indem er ihr einen kleinen Blick in die Welt seiner Gefüh-


Er ist froh und er hasst sich und ist wütend und verzweifelt und he’s hurting, hurting so much und er kennt manche Ausdrücke nur auf Englisch und er hat sie bisher kennenlernen dürfen, ohne dass man sich ständig zu sehen bekommt, ohne die Lenkungen und Ablenkungen, die so ein Körper auf den anderen ausüben kann und er mag ihr Hirn und er versteht sie und sie versteht ihn und er versteht nicht, weshalb zwischen zwei Menschen kein Blatt Papier passt wohl aber ein ganzes Universum und er weiß, dass dieses Universum eine 3. Person ist und er möchte alles richtig machen und er kann wohl nichts richtig machen und er will dass sie glücklich ist und es zerreißt ihn, dass sie ihr Glück nicht mit ihm suchen möchte und er will weglaufen und er läuft nicht weg, läuft nicht weg, er läuft nicht weg, nicht weil er es versprochen hat, sondern weil er es meinte als er sagte, dass er zurückrenne und nicht weglaufe und er kennt ihre Erwartungen und er akzeptiert diese und er kämpft und er läuft und er weiß, dass er zu alt ist aber er läuft schneller und weiter als sie es kann und „Nimm das, junge Frau! Ha-ha…“ und er weiß auch, dass er sie zum Lachen bringen kann und dass sie ihn auch mag und er hat so ein Bild von etwas zu Füßen legen im Kopf und würde es gerne verwenden auch wenn es viel zu fellbällchenkotzig ist und sie würde drüber stolpern haha, nochmal „Nimm das, junge Frau“ und alles würde er machen und meint damit nicht die großen Fellbällchenkotzgesten sondern den ganzen Alltagskram und ja, er würde auch mal was fellbällchenkotziges machen, einfach weil er nicht anders könnte und er findet, er sollte hier langsam mal zum Schluss kommen weil
wir haben’s
jetzt alle
begriffen…

und dennoch kann ich eines letztlich nicht:

Verzicht auf das ICH zugunsten der 3. Person (Singular)


P.S. Natürlich sind alle Namen geändert. Wer glaubt denn ernsthaft, dass jemand „Denise“ oder „Marlies“ heißt?
#sonenntmanseineTöchterdochnicht
#einehatgarkeinenNamen
#dochhatsie
#wirdnurnichtverraten


© 2019 albert sadebeck


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Comments

Eine Antwort zu „Verzicht auf das ICH zugunsten der 3. Person (Singular)”.

  1. Avatar von kleines wörterbuch der kundigkeit, folge sechs – Selbst mit Leid

    […] so angeschmachtete Dame war durchaus empfänglich für FellbällchenkotzigkeitTM, wie hier nachzulesen ist. Wie nachhaltig FellbällchenkotzigkeitTM ist, kann man da übrigens auch […]

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